ARTIKEL ÜBER HOMÖOPATHIE FÜR DIE ZEITSCHRIFT "DER MEDIZINER" (2/2002):

Die Homöopathie versteht sich als eine aufstrebende und nach wie vor um Anerkennung ringende Wissenschaft.

200 Jahre nach ihrer Begründung durch Samuel Hahneman steht sie an einem Punkt, an dem sich hoffen läßt, daß als Folge qualitativ hochwertiger Arbeit und damit einhergehender guter Erfolge die Zahl ihrer Gegner abnimmt, die generelle Akzeptanz steigt und sie im Gesundheitssystem einen Platz einnehmen kann, der ihrem Wert entspricht.

Ich denke, daß ein großer Aufklärungsbedarf besteht, was die Definition, die Einsatzmöglichkeiten und die Wirksamkeit der Homöopathie betrifft.

Im Volksmund wird die Homöopathie oft mit der gesamten Kräuterheilkunde gleichgesetzt - gelegentlich sogar im ärztlichen Sprachgebrauch. Erst recht ist die Unterscheidung klassische / nicht klassische Homöopathie noch lange nicht Allgemeingut.

Die klassische Homöopathie hält sich streng an die Richtlinien ihres Begründers, Samuel Hahnemann. Es werden nach einem aufwendigen Prozeß der Arzneimittelfindung Einzelmittel verordnet, oft in hoher Potenzstufe (wiederholt verdünnt und verschüttelt).

In der nicht klassischen Homöopathie werden mehrere Mittel zugleich, Komplexmittel (Grippetropfen, Blasentropfen, ....) oder auch Einzelmittel aufgrund "bewährter Indikationen" verschrieben, z.B. für Asthma die eine Arznei, für Otitis die andere.

Man schätzt die Wirksamkeit der nicht klassischen Homöopathie mit 5-30% (je nach Methode), die der klassischen Homöopathie mit 60-80%.

Obwohl die nicht klassische Homöopathie eine gewisse Wirksamkeit aufweist, bedauern klassische Homöopathen, daß durch ihre weite Verbreitung ein falsches Bild der gesamten Homöopathie als einer schwach wirksamen Heilmethode entsteht und die weit wirksamere klassische Homöopathie mit ihr in den gleichen Topf geworfen wird.

Insgesamt hat der Methodenstreit innerhalb der Homöopathie ihren guten Ruf natürlich nicht gefördert. Er ist aber ein Symptom des geringen Alters dieser Wissenschaft. Vieles gab es zu entdecken und wer etwas oft mit erheblichem persönlichen Einsatz entdeckt hatte, hat es oft als "die beste / richtige Methode" propagiert.

Aber auch hier läßt sich ein Reifungsprozeß erkennen. Man muß, wenn man die vielen Homöopathieschulen mit ihren oft so unterschiedlichen methodischen Ansätzen betrachtet, feststellen, daß sie alle gute Erfolge zu verbuchen haben. Das ist ein Zeichen für die Wirksamkeit des allen Methoden zugrundeliegenden homöopathischen Grundprinzips. Wer selbst auf eine bestimmte Methode schwört, versteht wohl kaum, warum einer, der es ganz anders macht, mit seiner Methode erfolgreich ist. Auch wenn ich ein eingefleischter Österreicher und stolz auf unsere Währung bin, muß ich doch anerkennen, daß man mit Lire ein genauso tolles Auto kaufen kann.

Was die Wirksamkeit der Homöopathie betrifft:

Wer am Faktum ihrer Wirksamkeit noch Zweifel hat oder sie nur als Placeboeffekt verstehen will, kann nicht als zeitgemäß informiert gelten.

Wer sich die Zeit nehmen mag, einem guten klassischen Homöopathen eine Woche lang bei der Arbeit über die Schulter zu schauen, wird danach die Homöopathie nicht mehr ablehnen oder geringschätzen können. Seriöse Information über Homöopathie ist, wenn man sich wirklich interessiert, nicht schwer zu finden.

Die homöopathische Forschung schreitet voran und kann bereits die Wirksamkeit hoch potenzierter Arzneien im Laborversuch (1) nachweisen. Meta-Analysen von Therapiestudien, die der Homöopathie mehr als eine Placebowirksamkeit bescheinigen sind nicht unumstritten, ermutigen aber eindeutig zu weiteren Studien (2)

Auch in der Grundlagenforschung gibt es gute Fortschritte, die helfen, eine Erklärung des Wirkmechanismus der Homöopathie zu finden.

Warum es nicht schon mehr überzeugende Therapiestudien gibt, liegt auf der Hand:

Studien kosten Geld, und weder die Homöopathen noch die Hersteller homöopathischer Arzneimittel haben viel davon. Außerdem: wer die Wirksamkeit der Homöopathie immer wieder mit eigenen Augen sieht und erlebt, fühlt die Notwendigkeit des grundsätzlichen Wirksamkeitsnachweises nicht mehr so akut.

Wann ist die Homöopathie also angezeigt? Gibt es Krankheiten, wo sie besonders zum Einsatz kommen sollte?

Das Einsatzgebiet der Homöopathie ist nicht so sehr durch bestimmte Indikationen begrenzt, als durch das Prinzip, das ihre Wirkung im menschlichen Organismus bestimmt. Hahnemann sprach von "Lebenskraft". Man könnte es als Vitalität, Reaktionsfähigkeit, Fähigkeit des Organismus zur Selbstheilung bezeichnen. So kann bei vorhandener Reaktionsfähigkeit sowohl eine Grippe als auch eine Autoimmunerkrankung, eine Sepsis oder eine Epilepsie gut behandelt werden. Bei Krankheiten mit schwerer Pathologie ist natürlich das Anfangsstadium der günstigste Zeitpunkt für eine homöopathische Therapie.

Oft kann sich der Homöopath schon beim Erstgespräch ein gutes Bild davon machen, wie reaktionsfähig der Patient sein wird, und er kann damit eine Prognose für die homöopathische Therapie stellen. Von der Art und Weise, wie der menschliche Organismus eine innere Störung zum Ausdruck bringt, kann man einen Rückschluß auf die Vitalität des Patienten ziehen.

Man sagt, daß Kinder besser als Erwachsene auf Homöopathie ansprechen. Das stimmt nur insofern, als es nur wenig Kinder gibt, deren Selbstheilungskräfte ausgebrannt sind. Bei Krebs im fortgeschrittenen Stadium, bei schon lange Jahre bestehenden und mit Psychopharmaka behandelten psychischen Erkrankungen weiß man, daß man mit der Homöopathie in der Regel keine große Veränderungen mehr bewirken kann.

Natürlich kann man bei degenerativen Erkrankungen, wie Arthrosen, oder bei Autoimmunerkrankungen mit Gewebezerstörung (Typ I Diabetes), mit der Homöopathie keinen Wiederaufbau des Zerstörten bewirken. Es gelingt aber in vielen Fällen, ein Fortschreiten des degenerativen Prozesses aufzuhalten.

Neben der Reaktionsfähigkeit des Organismus ist die Wahl des passenden homöopathischen Arzneimittels der entscheidendste Faktor für einen Therapieerfolg. Es gibt in der Homöopathie mehr als 2500 verschiedene Arzneimittel. Nur eines davon wird den Patienten tiefgreifend helfen. Wenn dieses eine Mittel gefunden wird, sind die Erfolge selbst bei schwerer Pathologie oft sehr eindrucksvoll. Dabei kann man sich nicht auf eine Korrelation zwischen bestimmten Krankheiten und bestimmten Arzneimitteln verlassen. Von 10 Asthmapatienten wird möglicherweise jeder eine andere Arznei zu seiner Genesung brauchen.

Das Finden des richtigen Arzneimittels - eine der großen Herausforderungen in der Homöopathie - ist eine Fähigkeit, die sich nicht in einigen Wochenendkursen erlernen läßt. Um anhaltend erfolgreich verschreiben zu können, muß man die Homöopathie zur Lebensaufgabe gemacht haben. Deshalb gilt die Empfehlung an alle Patienten, die homöopathische Hilfe suchen, sich an einen klassischen Homöopathen zu wenden, der die Homöopathie hauptberuflich betreibt.

Die zweite große Herausforderung, der sich ein Homöopath zu stellen hat, ist es, den Verlauf einer Heilungsreaktion richtig zu beurteilen. Hier ist ein gut fundiertes Wissen über die Reaktionsweisen des menschlichen Organismus im ganzheitlichen Sinn erforderlich.

Im Folgenden möchte ich kurz ausführen, wie der klassische Homöopath Krankheit und Gesundheit sieht, warum er das tut und welche Konsequenzen für die Therapie gezogen werden.

Der Homöopath sieht die Symptome und die pathologischen Veränderungen einer Krankheit nicht nur als lästige, zu beseitigende Erscheinungen, sondern als Ausdrucksweise eines kranken Organismus. Nur die Symptome zu bekämpfen, ohne die zugrundeliegende innere Störung zu behandeln, sieht er als "Unterdrückung" an. Unterdrückend behandeln kann man sowohl mit der Homöopathie, mit der Akupunktur und anderen Naturheilmethoden, wie auch mit der Schulmedizin.

Daß eine rein symptomatische Therapie unterdrückend und somit krankmachend sein kann, zeigt sich vor allem dann, wenn sich ein krankhafter Zustand nach Gabe des passenden Arzneimittels bessert und zugleich Symptome, die in der Vergangenheit unterdrückt wurden, für kurze Zeit wieder auftreten, um dann ebenso zu verschwinden.

Wurde z.B. ein lästiger chronischer Schnupfen mit Hilfe von Akupunktur (oder beliebiger anderer Heilmethode) zum Verschwinden gebracht und entwickelte sich daran anschließend ein Bluthochdruck, so läßt sich ein solcher ganzheitlicher Zusammenhang daran erkennen, daß sich unter homöopathischer Therapie der Blutdruck unter kurzzeitiger Rückkehr des Schnupfens normalisiert.

Solche Beobachtungen werden von klassischen Homöopathen immer wieder gemacht. Die wiederholte Beobachtung bekräftigt ihr als Theorie angenommenes Konzept von Gesundheit und Krankheit.

Ein weiteres klassisches Beispiel ist das Dermatitiskind, dessen Hautausschlag mit Hilfe einer Kortisoncreme zum Verschwinden gebracht wird. In absehbarer Zeit entwickelt sich Asthma, das ebenfalls mit Kortison bis zur Symptomlosigkeit behandelt wird. In einiger Zeit präsentiert das nun asthmafreie Kind (oder mittlerweile der Jugendliche ) psychische Symptome, wie z.B. Hyperaktivität oder Angststörungen. Wird dieser Patient nun korrrekt homöopathisch behandelt, so schwinden die psychischen Störungen, das Asthma kehrt für kurze Zeit wieder und danach auch der Hautausschlag, oft an gleicher Stelle wie zuvor, bis es zur endgültigen Ausheilung kommt.

So läßt sich auch bei Erwachsenen im homöopathischen Heilungsverlauf oft die ganze (Krankheits-) Lebensgeschichte chronologisch zurückverfolgen.

Wie bereits gesagt, läßt sich Unterdrückung auch mit homöopathischen Arzneimitteln erreichen. Es kann einem also passieren, daß man, wenn man nicht das richtige Arzneimittel gibt, suppressiv tatt heilend behandelt. Deswegen ist die richtige Beurteilung eines Heilungsverlaufes so wichtig. Schon Mitte des 19. Jahrhundert hat uns Constantin Hering mit seiner nach ihm benannten Regel dazu eine unschätzbare Hilfe gegeben:

"Die Heilung verläuft von oben nach unten, von innen nach außen, von den wichtigen zu den unwichtigeren Organen und in der umgekehrten Reihenfolge, in der die Symptome aufgetreten sind"

Es gibt also eine Hierarchie im menschlichen Organismus (Abb. 1 und 2). Äußerste Barriere ist die Haut. Wenn eine Störung tiefer geht, befällt sie zunächst die (lebens-) unwichtigeren Organe, dann die lebensnotwendigen Organe (Herz, Lunge, ..) und zuletzt die emotionale (z.B. Depression) und mentale (z.B. Verhaltensstörungen) Ebene. Der Homöopath sieht dabei die pathogenetischen Faktoren wie Erreger, Autoimmungeschehen, Zellentartung nicht als allein bestimmende Faktoren an, sondern wertet die Disposition des Körpers, für bestimmte pathogenetische Noxen empfänglich zu sein, sehr hoch. Bei der Heilung einer Verhaltensstörung (z.B. Autoaggression), also einer Störung auf der hierarchisch höchsten Ebene, kann es durchaus so sein, daß es vorübergehend zu einer Zunahme einer Depression, also einer Störung auf der hierarchisch darunterliegenden Ebene, kommt. Wird zu diesem Zeitpunkt die Depression suppressiv behandelt, so wird es wieder zu Autoagression kommen - das heißt: die "Heilung" verläuft wieder in die falsche Richtung.



Abbildung 1 und 2: Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Georgos Vithoulkas; aus seinem Buch "Die wissenschaftliche Homöopathie" (Ulrich Burgdorf-Verlag, 1986). Dieses Buch bietet eine sehr gute Einführung in die homöopathische Denkweise.

Prof. Georgos Vithoulkas ist einer der weltweit führenden Homöopathen und wurde 1996 mit dem Nobelpreis für alternative Medizin geehrt.

Abbildung 2 beinhaltet einen Vorschlag einer Hierarchisierung von Krankheitsbildern.

Dieses Vorstellungsmodell ist auf langer Erfahrung begründet und wird weltweit von klassischen Homöopathen in ihrer Praxis bestätigt. Warum wollen gerade die Homöopathen so ein wichtiges Prinzip entdeckt haben? Kaum eine andere Gruppe von Ärzten führt so ausführliche Krankenbefragung durch wie die klassischen Homöopathen, für die sie eine Grundregel darstellt. Da springen einem solche Zusammenhänge mit der Zeit geradezu ins Auge.

Ein Studium der klassischen Homöopathie ist vom Aufwand her etwa mit einer umfangreichen Facharztausbildung zu vergleichen. Da die Materie und die Denkweise sich von der der herkömmlichen Medizin stark unterscheiden, ist es verständlich, daß sich der Homöopath eher als Spezialist sieht, nicht mehr so sehr als Allrounder. So wünscht er sich natürlich eine gute Zusammenarbeit mit Spezialisten anderer Fachrichtungen, vor allem um die für jeden Homöopathen wichtige diagnostische Abklärung vor Therapiebeginn gewährleisten zu können. Ein Zusammenwirken von klassischen Homöopathen und Schulmedizinern ist möglich, wenn ein gegenseitiges Verständnis aufgebaut werden kann. Homöopathen, die engstirnig behaupten: "Homöopathie und sonst nichts!" gehören eher der Vergangenheit an.

Ich hoffe, daß diese kurze Ausführung über die Denkweise in der klassischen Homöopathie dazu beitragen kann, die ungewohnten Ideen der Homöopathen besser zu verstehen und daß sie vielleicht auch zu weiterem Interesse anregt.

1) P.C. Endler: Expedition Homöopathieforschung, Verlag Wilhelm Maudrich, 1998.

2) British Medical Journal 1991 Feb 9;302(6772):316-23; Lancet 1997; 350: 834-43

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Dr. Clemens Fischmeister
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